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DDR

Die Geschichte(n) der vietnamesischen Vertragsarbeiter::innen der DDR werden oft vergessen und marginalisiert. Als Arbeitskräfte willkommen und unverzichtbar lebten sie in der DDR isoliert vom gesellschaftlichen Leben und hatten kaum Kontakt zu den Menschen des Arbeiter- und Bauernstaates. Nach der Wende wurden sie, vielleicht noch radikaler als die ehemaligen DDR-Bürger::innen selbst, in die Transformationen der 90er Jahre geschleudert. Die meisten von ihnen kehrten in die ihnen fremd gewordene Heimat Vietnam zurück. Andere suchten einen Platz im wiedervereinigten Deutschland und sind heute ein wichtiger Teil unserer diversen Gesellschaft – doch immer noch lebt die vietnamesische Community isoliert und beinahe im Verborgenen.

Foto: IMAGO / Matthias Rietschel

Befragt nach ihrer ersten Erinnerung in der DDR, berichten viele vietnamesischer Vertragsarbeiter::innen von der ersten Erfahrung mit Schnee. Kalt sei es gewesen in den Bussen, die sie vom Flughafen in das Wohnheim in der Stadt bringen sollten, die tausende Kilometer entfernt von Vietnam von nun an ihr Zuhause sein sollte. Schnee hatten sie noch nie gesehen.

Ab Ende der 70er Jahre schloss die DDR Staatsverträge mit sogenannten sozialistischen Bruderstaaten zur Arbeitsmigration. Darunter auch mit dem vom Krieg zerstörten Vietnam 1980. Ziel war zunächst eine Ausbildung der Vertragsarbeiter::innen zum Aufbau des zerrütteten Vietnams, während gleichzeitig dort die Betriebe wiederaufgebaut werden sollten. Ende der 1980er Jahre lebten rund 60.000 Vietnames::innen in der DDR. Vertragspartner::innen des Abkommens waren die Staaten Vietnam und die DDR, nicht die Arbeiter::innen selbst. Ihre Arbeit verrichteten sie vor allem in der Leichtindustrie wie Textil- und Papierverarbeitung.

Die Aufenthaltsdauer war auf vier bis sieben Jahre beschränkt. Vorgesehen waren zunächst Ausbildungsverhältnisse, die sich im Laufe der Zeit jedoch im Laufe der Zeit aufgrund des Arbeitskräftemangels in der DDR in reine Arbeitsverhältnisse wandelten. Ab 1985 war der Vorrang der Arbeit vor der Qualifikation explizit vereinbart. Bevorzugt wurden alleinstehende Männer und Frauen im Alter zwischen 18 und 35 Jahren. Familiennachzug war nicht vorgesehen.

Foto:  IMAGO / Roland Hartig

Foto:  IMAGO / Werner Schulze

Auch die Lebenssituation im Alltag war staatlich reglementiert. Die Vertragsarbeiter::innen waren in Wohnheimen geschlechtlich getrennt untergebracht. Auch Ehepaare wurden getrennt. Pro Person waren 5qm Wohnfläche vertraglich vereinbart. Die Wohnheime mit Dusche, Gemeinschaftsküche, Heizung und Clubraum waren eingerichtet und befanden sich meist in den neu entstandenen Plattenbauten, was als eine besondere Erfahrung seitens der Vietnames::innen beschrieben wird. Es bestand eine An- und Abmeldepflicht in der Unterkunft sowie Besuchsverbot. Die Heimleitung hatte Zugang zu allen Räumen. Im Falle einer Schwangerschaft blieben nur die Möglichkeiten einer Abtreibung oder der Rückführung nach Vietnam.

Vom Lohn wurden 12% als Transfer direkt in die Heimatländer abgeführt. Weil die DDR-Mark als sogenannte Binnenwährung nicht konvertierbar war, schickten die Vertragsarbeiter::innen Waren in ihr Heimatland; oft Waren, die in der DDR selbst knapp waren, wie Fahrräder, Nähmaschinen und Mofas, die in Einzelteile zerlegt wurden und in Paketen verschickt wurden.

Foto: IMAGO / Matthias Rietschel

Foto:  IMAGO / Werner Schulze

Zwischen den Vertragsarbeiter::innen und den DDR-Bürger::innen entstand eine Art Doppelbewegung zwischen der Sichtbarkeit im Betrieb bei gleichzeitiger Unsichtbarkeit im Alltag. Dazu kam der „Double-Bind“ der propagierten sowjetischen internationalen Solidarität gegenüber der Unerwünschtheit von Kontakt zwischen Vertragsarbeiter::innen und Bürger::innen der DDR. Den Vorarbeiter::innen der sogenannten Volkseigenen Betriebe,  kurz VEBs genannt, wurde nahelegt, keine persönlichen Kontakte zu den Vietnames::innen zu unterhalten.

Laut Vertrag gehörte ein Sprachkurs von einem bis drei Monaten und die berufliche Ausbildung zum Abkommen, dies wurde aber oft nicht umgesetzt. Das fehlende Interesse an einer Ausbildung von beiden Staaten führte dazu, dass Sprachkurse im zweiten Regierungsabkommen (1987) nicht mehr vorgesehen war. Die Sprachbarriere macht den persönlichen Kontakt zu DDR Bürger::innen nicht einfacher.

Vietnamesisches Brautpaar feiert seinen Polterabend in den Räumen eines Wohnheims für Gastarbeiter::innen in Ost-Berlin (DDR)

Foto:  IMAGO / Werner Schulze

WENDE

Aufgrund der begrenzten Aufenthaltsdauer in der DDR und der desolaten wirtschaftlichen Situation in Vietnam waren die Wendejahre hinsichtlich des Aufenthaltsstatus kompliziert. Die Verhandlungen für die Vietnames::innen, die in Deutschland bleiben wollten, zogen sich bis in die 90er. 16.000 Vietnames::innen blieben in Deutschland. Weil sie ohne Aufenthaltserlaubnis in Deutschland nicht angestellt arbeiten durften, bliebt oft, um das Überleben zu sichern, nur die Selbstständigkeit.

Foto:  IMAGO / Werner Schulze

Zudem waren die Vietnames::innen in Deutschland rechten Übergriffen ausgesetzt. Das bekannteste Beispiel dafür sind die Ausschreitungen von Hoyerswerda 1991 und von Rostock-Lichtenhagen 1992.

Von der historischen Lage ausgehend, wollen wir heute nach den Erfahrungen und den Geschichten der ehemaligen vietnamesischen Vertragsarbeiter::innen fragen und ihre Lebensrealität heute erfahrbar machen.